Die allererste EM-Goldmedaille einer Schweizer Leichtathletin geht an Lea Sprunger (COVA Nyon). Über 400 m Hürden feierte sie einen Start-Ziel-Sieg und stürzte die Leichtathletik-Familie in einen kollektiven Freudentaumel. Selina Büchel (KTV Bütschwil) wurde über 800 m Siebte.
Lea Sprunger war schon vor dem 10. August 2018 eine hochdekorierte Athletin. Eine EM-Bronzemedaillengewinnerin, eine WM-Finalistin, eine U20-WM-Medaillengewinnerin. Dazwischen vergoss Sprunger auch immer wieder bittere Tränen der Enttäuschung, der Niedergeschlagenheit. Hallen-EM 2017: Als Topfavoritin auf der Zielgerade eingegangen. Hallen-WM 2018: Als Topfavoritin im Halbfinal disqualifiziert.
An diesem 10. August 2018 aber, im Berliner Olympiastadion, schlug das Pendel so stark zum Guten für Sprunger aus wie nie zuvor. Als Saisonschnellste waren alle Augen auf sie gerichtet. Wieder einmal. Und es war der Moment gekommen, bei dem beim Zieleinlauf Sprungers alle Augen leuchteten, allen voran jene der frischgebackenen Europameisterin selbst. Dem Augenblick waren 54,33 Sekunden vorangegangen, in denen die 28-Jährige über 400 m und zehn Hürden demonstrierte, welch gereifte Athletin aus ihr geworden ist und dass sie auf dem vorläufigen Gipfel ihres Könnens angekommen ist. Sie feierte einen Start-Ziel-Sieg und liess nie Zweifel darüber aufkommen, wer die Chefin im Feld ist. Das sah auch ihr Trainer Laurent Meuwly so: „Als sie bei der achten Hürde in Führung lag, wusste ich, dass nichts mehr passieren kann und sie gewinnt. Ich wollte, dass sie heute attackiert und das hat sie gemacht.“
„Das Resultat meiner ganzen interessanten Karriere“
Lea Sprunger kam aus dem Strahlen nicht mehr heraus. „Ich bin froh darüber, was mir heute gelungen ist. Die vielen Schweizer Fahnen im Stadion haben mich gepusht und über das gesamte Rennen motiviert. Der EM-Titel ist das Resultat meiner ganzen interessanten Karriere mit schönen und schlechten Sachen“, bilanzierte Sprunger. „Ich habe die ganze Saison sehr gut gearbeitet, es ist unglaublich.“
Unterstützt von den Schweizer Fans wäre sie fast noch zu einem Schweizer Rekord gerannt. Mit 54,33 blieb sie nur acht Hundertstel über der Marke von Anita Protti. Bei 54,29 steht Sprungers persönliche Bestleistung. Trainer Meuwly attestiert ihr das Potenzial für eine 53er-Zeit.
Lea Sprunger kennt Himmelhochjauchzen wie auch die tiefsten Tiefs einer Sportlerin. In letzteren Situationen gelang es ihr immer, wieder aufzustehen, sich die Krone zu richten und nach vorne zu schauen. An Selbstkritik fehlte es ihr nie und sie schaffte es, stets sich selbst zu bleiben. Der EM-Titel ist der verdiente Lohn dafür und es gibt niemanden der dieser Athletin die neue Dekoration in ihrem Palmarés nicht gönnen würde. Sprunger bleibt ab dem 10. August 2018 für immer die allererste Schweizer Leichtathletik-Europameisterin.
Rang sieben für Selina Büchel
Auf der Innenbahn gestartet, überliessen die Konkurrentinnen Selina Büchel (KTV Bütschwil) über 800 m den Lead. Da sagte sie sich: „Wenn ich schon vorne bin, gebe ich diese Position auch nicht wieder einfach so her.“ Sie gab ein sattes Tempo vor (59,26 Sekunden bei 400 m), liess in der letzten Kurve keine Gegnerin vorbei und bog als Erste auf die Zielgerade ein. Dort rächte sich allerdings die offensive Taktik. Nahezu das gesamte Feld zog an der Schweizerin vorbei. Während die Ukrainerin Natalja Pryschtschepa gewann, musste sich die zweifache Hallen-Europameisterin mit Rang sieben begnügen. „Die erste Runde war für mich nicht locker, sie kostete mich in diesem Tempo zu viel Substanz“, sagte sie. „In meiner derzeitigen Form klappte es offensichtlich nicht, so schnell anzulaufen.“
Toller Schweizer Siebenkampf-Abschluss
Während zwei Tagen waren sie im Olympiastadion immer wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit: die Siebenkämpferinnen, Königinnen der Leichtathletik. Die Schweizer Leistungsträgerin Géraldine Ruckstuhl (STV Altbüron) hatte solide fünf Disziplinen und einen Schweizer U23-Rekord im Speerwerfen (56,13 m) vorzuweisen, ehe es auf die abschliessenden 800 m ging. Es gelang ihr zwei Runden lang, am Drücker zu bleiben und kontrolliert zu laufen. Der Kampf lohnte sich, mit 2:15,13 Minuten verteidigte sie als Neunte ihren Platz unter den ersten zehn. Mit 6260 Punkten resultierte ein tolles Ergebnis.
Die 18 Jahre junge Annik Kälin (AJ TV Landquart) kämpfte sich wacker durch die letzte Disziplin, in der sie vom toll unterstützenden Publikum getragen wurde. Mit den 2:23,95 kam sie auf ein Punktetotal von 5575 Punkten und den 21. Schlussrang.
Mujinga Kambundji zieht souverän in den EM-Final ein
Im Halbfinal über 200 m machte Mujinga Kambundji (STB) ihre leise Enttäuschung von der verpassten EM-Medaille im 100-m-Finale vergessen. Dies nachdem sie im Unterschied zu den 100 m in dieser Saison weniger gut ins Fliegen gekommen war. Mit 22,48 Sekunden war sie bisher unter ihren eigenen Erwartungen geblieben. Sie zeigte einen guten Start, machte aber auf der Zielgerade noch Verbesserungspotenzial aus. „Hinten raus hätte ich besser laufen müssen. Und das kann ich auch.“ Voll durchgezogen habe sie zudem nicht, musste sie auch nicht. Rang zwei in 22,84 Sekunden reichten sicher für einen Platz im Final.
Final mit Kambundji: Samstag, 20.45 Uhr.
Sarah Atcho (Lausanne-Sports) träumte vom Finaleinzug. Unrealistisch war dieser Traum nicht, denn die Romande war als eine der 12 Besten in diesem Jahr direkt für den Halbfinal qualifiziert. Sie lief eine gute Kurve, hatte aber da schon leichte Rücklage, was sich bis zum Ziel durchzog. Auf der zweiten Streckenhälfte musste sie den rettenden zweiten Rang, der noch zur Endlauf-Quali gereicht hätte, hergeben. Trotz der für sie guten Zeit von 22,88 Sekunden (PB 22,80) reichte es nicht für einen Rang unter den zwei Zeitschnellsten, ein winziger Hundertstel fehlten zum grossen Glück – ein Umstand der Atcho bitter enttäuscht zurückliess.
Am Morgen noch war Schweizer Meisterin Cornelia Halbheer (LV Winterthur) höchst unzufrieden mit ihrer verhaltenen Leistung im 200-m-Vorlauf. Weil sich zwei Athletinnen von einem Start zurückgezogen haben, rückte sie mit ein wenig Glück als eine der Zeitschnellsten trotzdem noch in den Halbfinal nach. Aber auch hier zeigte sich, dass es nicht Halbheers Tag war. Es resultierten 23,98 und Rang acht in ihrer Serie.
Selbstkritischer Jason Joseph
Der 20-jährige 110-m-Hürden-Läufer Jason Joseph (LC Therwil), U20-Europameister von 2017, hat in diesem Jahr schon für viel Furore gesorgt. Unter anderem mit seinem Schweizer Rekord von 13,39 Sekunden bei den Schweizer Meisterschaften in Zofingen. Doch im EM-Halbfinal wollte es dem Baselbieter nicht so laufen, wie er das gerne gehabt hätte. Er kam eher zögerlich aus den Blöcken und handelte sich einen Rückstand auf die Konkurrenz ein, den er nicht mehr wett machen konnte. Den 12. Schlussrang in 13,53 Sekunden ordnet Joseph als „Riesenenttäuschung“ ein. „Das Niveau ist einfach zu hoch für Fehler. Da bringt es mir nichts, dass ich Schweizer Rekordhalter oder U20-Europameister bin“, sagte Joseph.
Swiss Athletics berichtet auf der Website von der EM und führt auch eine eigene EM-Subsite mit hilfreichen Zusatz-Informationen rund um die Schweizer Equipe. Ausserdem werden die Social-Media-Kanäle Facebook, Twitter und Instagram laufend mit Fotos und Videos bespielt.
Die Fernseh-Stationen SRF, RTS und RSI übertragen ab Montag live und umfassend aus Berlin. Zusätzliche Video-Beiträge aus dem Umfeld des EM-Teams finden sich auf ubs-athletics.fans und athle.ch. Vor Ort ist auch ein Team von athletix.ch, dass die Schweizer Leichtathletik-Community laufend mit Fotos aus dem Olympiastadion versorgt.
(cg)