Philipp Bandi (Photo: Swiss Athletics/Sandro Anderes)
Philipp Bandi (Photo: Swiss Athletics/Sandro Anderes)

EM-Bilanz: Eine Erfolgswelle «Made in Switzerland»

Swiss Athletics ist mit der besten EM-Bilanz aller Zeiten aus Rom zurückgereist. Philipp Bandi, Chef Leistungssport von Swiss Athletics, ordnet die «magischen Tage» von Rom im Interview ein, spricht über die hervorragenden Trainerinnen und Trainer in unserem Land und blickt in die Zukunft.

Philipp Bandi, die Schweizer Leichtathletinnen und Leichtathleten waren in Rom enorm erfolgreich. Wie ordnest du die Leistungen deines Teams ein?
Schlichtweg hervorragend. Die Ansprüche sind über die letzten Jahre hinweg stets gestiegen und es war keineswegs selbstverständlich, dass wir auch hier in Rom noch einmal zulegen konnten. In Rom haben wir bei sämtlichen Kennzahlen Rekorde aufgestellt. Wir haben noch nie so viele Titel (4), Medaillen (9) und Top-8-Plätze (17) erzielt. Wir sind mit hohen Zielen nach Rom gereist, aber eine solche hervorragende Bilanz durften wir nicht erwarten.

Gibt es einen Aspekt, den du besonders hervorheben möchtest?
Mich freut besonders, dass diese Erfolge sehr stark auf der Arbeit unserer einheimischen Coaches beruhen. Alle Medaillengewinnerinnen und -gewinner werden von einheimischen Trainerinnen und Trainern betreut. Das spricht für die Qualität im eigenen Land und natürlich auch für unsere Ausbildung. Die Erfolge in Rom sind definitiv «Made in Switzerland». Es ist noch nicht lange her, da herrschte die Meinung, dass es als Schweizer Leichtathletin oder Leichtathlet den Wechsel ins Ausland braucht, um den Schritt an die absolute Weltspitze zu schaffen. Nun zeigt sich, dass dies nicht unbedingt nötig ist, um Erfolg zu haben. Das ist eine extrem tolle Entwicklung.

Welches sind die weiteren Gründe für diesen Erfolg?
Wie schon oft erwähnt, sind unsere Nachwuchsprogramme UBS Kids Cup, Visana Sprint und MILLE GRUYÈRE ganz wichtige Bausteine für den Erfolg. Auch unsere Strategie des «Chancen schaffens» in Bezug auf die Selektionspolitik trägt dazu bei. Letztlich ist es aber der Erfolg der ganzen Schweizer Leichtathletik-Bewegung. Dass wir heute so breit und toll aufgestellt sind, hat stark mit der Arbeit an der Basis zu tun. Vereine, Kantonalverbände, Trainer auf allen Ebenen, Veranstalter vom lokalen Event bis zum Diamond-League-Meeting. Sie alle tragen mit ganz viel Herzblut und positiver Energie zu diesen Erfolgen bei.

Blicken wir nach vorne. Bald stehen bereits die Olympischen Spiele in Paris an. Was bedeutet diese EM für Olympia?
Sie stärkt in erster Linie das Selbstvertrauen unserer Athletinnen und Athleten. Das ist sehr wertvoll und wichtig. Denn bei Olympischen Spielen ist die Konkurrenzsituation natürlich noch einmal eine ganz andere. Schon für einen Finalplatz muss sehr Vieles zusammenpassen, für eine Medaille braucht es auch das notwendige Glück. Muss man die Relationen sehen: Werner Günthör war vor 36 Jahren der letzte Schweizer Leichtathlet, der eine Olympiamedaille gewonnen hat. An den letzten drei Weltmeisterschaften gab es zwei Medaillen. Das zeigt, dass die europäische Ebene eine andere ist als die Weltebene. Damit sind die Relationen klar. Wir erinnern uns aber auch an Tokio mit zwei Schweizerinnen im 100-m-Final und unserer 4×100-m-Frauenstaffel auf Platz 4. Dort waren wir schon nahe dran. Warum soll es also nicht diesmal klappen?

Mit Olympia geht immer auch ein Zyklus zu Ende. Erwartest du einen Umbruch nach Paris 2024?
Keineswegs. Wir sind ein sehr junges Team, Timothé Mumenthaler und Ditaji Kambundji sind beispielsweise noch im U23-Alter. Unsere Aushängeschilder planen im Minimum mit einem weiteren Olympiazyklus. Der ganz grosse Teil unseres Teams hat Perspektiven bis über 2030 hinaus. Wir können uns also auf die nächsten Jahre freuen.

Welche Herausforderungen hat die Schweizer Leichtathletik in den nächsten Jahren zu bewältigen?
Das enorme Wachstum fordert Swiss Athletics und das ganze System der Schweizer Leichtathletik sehr stark, auch finanziell. Da gilt es in der jetzigen Erfolgsphase, langfristig die richtigen Weichen zu stellen. Ein ganz zentraler Erfolgsfaktor ist die Verfügbarkeit von Trainerinnen und Trainern, die tagsüber unsere vielen talentierten und ambitionierten Athletinnen und Athleten betreuen können. Da sind weitere Schritte in Richtung Professionalisierung nötig.

Heisst das, dass das Ehrenamt an Bedeutung verliert?
Keineswegs. Die ehrenamtlichen Tätigkeiten bilden das grosse Rückgrat der Schweizer Leichtathletik. Jährlich werden in der Schweizer Leichtathletik Leistungen im Wert von rund 50 Millionen Schweizer Franken ehrenamtlich erbracht. Wenn in einzelnen Bereichen professionalisiert wird, dann mit dem Ziel, dass dank der Professionalisierung ehrenamtlich Tätige entlastet werden und ihr Leichtathletik-Engagement neben dem Beruf dauerhaft bewältigen können.

Link zu den Bildergalerien der EM in Rom von athletix.ch

Link zu den EM-Beiträgen von SRF Sport

(swa)