Am 10. Juli 1971, im Gründungsjahr von Swiss Athletics, lief die 4×100-m-Männerstaffel mit 39,9 Sekunden einen historischen Schweizer Rekord anlässlich des Länderkampfes Schweiz-Frankreich in Genf. Nach 50 Jahren trafen sich Marcel Kempf, Reto Diezi, Fabrizio Pusterla und Peter Hölzle am Vierwaldstättersee. Peter Hölzle berichtet im Namen des Rekordquartetts.
Die vier Sprinter versuchten beim ersten Wiedersehen, ihre persönlichen Eindrücke und Anekdoten wiederzugeben. Die Aufregung war damals gross, als bekannt wurde, dass sich zwei sehr starke Sprinter zurückgezogen hatte. Marcel meinte, dass in diesem Moment Reto, unser erfahrenstes Teammitglied, es verstand, die aufkommende Unruhe wegzuwischen und uns erklärte, dass das Verbindende (wir vier sind alle schnell) höher zu gewichten sei, als das Trennende (kein Wechseltraining). Kurvenläufer Fabrizio hadert heute noch etwas, da er beim letzten Wechsel zu Schlussläufer Peter auflief und dadurch eine noch schnellere Endzeit vergeben wurde. Doch alle waren sich einig, dass Retos Leadership wegweisend war für den Rekord.
Pressestimmen vor 50 Jahren
Man erinnerte sich auch an Pressestimmen wie zum Beispiel im «Bund», dass eine «erstmals zusammengewürfelte Sprintstaffel die magischen 40,0 Sekunden nach herrlichem Lauf erstmals unterbot». Das Fachblatt «Sport» schrieb über eine «Verlegenheitsstaffel, die noch nie miteinander trainiert hatte», und «La Suisse» hielt fest:
«Notre relais s’était si souvent cassé les dents contre la fameuse limite des 40 secondes. Et puis, l’affaire se présentait mal, Clerc et Wiedmer ayant déclaré forfait peu avant le départ de l’épreuve: d’où un remaniement de dernière heure, Pusterla et Hoelzle se voyant promus titulaires. Le tout sans aucun entrainement en commun. Et c’est pourtant cette formation hétéroclite qui a réalisé ces 39“9 désirés depuis près d’une décennie.»
Der «SonntagsBlick» schrieb von einem Länderkampf «bei glühender Hitze», den die Schweiz knapp verlor und das Verbandsorgan des Schweizerischen Leichtathletik-Verbands (SLV), dem Vorläufer von Swiss Athletics, berichtete: «Über 4×100 m erreichte die Schweiz erstmals mit 39,9 eine Zeit unter der ominösen 40,0-Sekunden-Grenze, was just unter das weltbeste Dutzend reicht. »
Andere Voraussetzungen
Jetzt, fünfzig Jahre später bei einem gemütlichen Mittagessen, fragten wir in die Runde, welche Zeit für uns heute wohl möglich wäre, unter Einbezug aller materiellen und technischen Neuerungen. Natürlich hatten wir Talent, ohne das sind keine Rekorde möglich. Aber, im Gegensatz zu heute, war unser Training wenig individualisiert. Es fehlten Analysen unserer Läufe, Muskelfunktionstests, gezieltes Krafttraining sowie optimierte Ernährung. Sportmedizin, Sportpsychologie und Trainingswissenschaften steckten in den Kinderschuhen und waren nicht verfügbar. Es gab weder einen Staatssport light noch Spitzensportrekrutenschulen oder Sponsoren, die uns tatkräftig in unserer Entwicklung unterstützten, etwa mit Trainingsaufenthalten im Winter im Süden.
Geschichte geschrieben
Es gab kein Staffelprojekt des SLV und wichtige Fragen zur Wechseltechnik (von oben, von unten, etc.) waren nicht ausdiskutiert. Und nicht zuletzt, wie Tokyo 2020 gezeigt hat, existierten damals keine modernen Laufschuhe mit Carbonsohlen und auf Schnelligkeit ausgelegte Kunststoffbeläge. Umso eindrücklicher ist es, dass es uns jungen Amateuren – darunter zwei Junioren – trotzdem gelang, Geschichte zu schreiben.
Der 10. Juli 1971, sowie das Wiedersehen im 2021, bescherte uns vier Leichtathleten sehr schöne und erinnerungsvolle Momente des Glücks in unserem Leben.
Fabrizio Pusterla, Peter Hölzle, Reto Diezi, Marcel Kempf 1971