Mit ihrem Bonmot und dem WM-Medaillencoup hat Anita Weyermann (GGB) in Athen Geschichte geschrieben. Auf der klassischen Marathondistanz macht jedoch eine andere leidensfähige Bernerin von sich reden: Franziska Rochat-Moser (STB). In der «Weyermania» geht ihr hart erkämpfter achter WM-Rang auf der historischen Strecke von Marathon ins Olympiastadion von 1896 fast unter. Nicht aber, was danach folgt.
Nur vier Wochen nach dem WM-Diplom absolviert Rochat-Moser den Jungfrau-Marathon so schnell wie keine Frau vor ihr. Die gebürtige Oberaargauerin meistert die 42,195 km und 1829 Höhenmeter von Interlaken auf die Kleine Scheidegg in 3:22:49 Stunden.
Dass Rochat-Moser nicht nur lang und bergauf laufen kann, sondern auch schnell und flach, unterstreicht sie zwei Wochen später beim internationalen Greifenseelauf mit Rang 2 hinter der nachmaligen Halbmarathon-Weltrekordhalterin Lornah Kiplagat.
Wiederum zwei Wochen später sprengt die Wahl-Waadtländerin beim Murtenlauf in 58:50 Minuten als erste Frau überhaupt die 1-Stunden-Grenze. Ihre Herbstform scheint demnach so gut wie noch nie und ein Spitzenresultat im Big Apple durchaus realistisch. Und dann kommt er, der Tag, der das Leben der studierten Juristin und promovierten Rechtsanwältin komplett verändern sollte.
Queen of New York
Weltmeisterin ist Franziska Rochat-Moser in Athen nicht geworden, aber die Jungfrau-Marathon-Siegerin gewinnt nach dem schönsten Bergmarathon auch den prestigeträchtigsten Städtemarathon der Welt – den 28. New York City Marathon. Für die Überraschungssiegerin geht im Central Park nach 2:28:43 Stunden ein Traum in Erfüllung. Ein Traum, den sie noch nicht begreift, als sie in Richard Umbergs Arme fällt.
Der Langstreckencoach und Konditionstrainer, selbst zweifacher Rekordläufer, fünffacher Schweizer Meister und 31-facher Marathon-Finisher unter 2:20 Stunden, betreut Franziska Rochat-Moser seit ihrem Debüt auf der Langdistanz. In Tenero 1989 wurde die einstige OL-Kaderathletin in 2:42:10 Stunden auf Anhieb Schweizer Meisterin.
Den internationalen Durchbruch schafft «Fränzi» 1994 mit ihrem Sieg beim Frankfurt Marathon. In 2:27:44 Stunden stellt sie einen Schweizer Rekord auf, der erst 2015 von ihrer STB-Nachfolgerin Maja Neuenschwander und im April dieses Jahres von Debütantin Fabienne Schlumpf (TG Hütten) unterboten wird. Noch schneller war Franziska Rochat-Moser allerdings bei ihrem 17. und letzten City-Marathon.
Immer noch schnellste Schweizerin über 42,195 km
Nach ihrem ersten Sieg beim Grand-Prix Bern in 55:00 Minuten und drei Ermüdungsbrüchen im Jahr 1998 kämpft sich die äusserst zielstrebige, aber auch sensible Titelverteidigerin beim New York City Marathon erfolgreich zurück auf Rang 5.
Im Frühjahr 1999 stellt sie quasi «im Vorbeigehen» neue Bestzeiten im Halbmarathon (1:10:54) und über 10 000 m (31:56,78) auf, ehe sie ihre internationale Klasse beim ältesten Marathon der Welt ein letztes Mal aufblitzen lässt: In 2:25:51 Stunden finisht Rochat-Moser ihren dritten Boston-Marathon als Zweite erstmals auf dem Podest – nach Rang 4 (1995) und 6 (1996). Auf dem coupierten, nicht mehr rekordkonformen Kurs ist an diesem Tag nur eine Frau stärker: die Äthiopierin Fatuma Roba, ihres Zeichens dreifache Boston- und amtierende Olympiasiegerin.
Zwischen Sternerestaurant und Spitzensport
Das Palmarès der Schweizer Sportlerin des Jahres 1997 ist umso beeindruckender, als sie nicht erst seit der Hochzeit mit dem Westschweizer Starkoch Philippe Rochat ein 200-Prozent-Pensum leistet. Als Patronne im Gourmettempel von Crissier beginnt ihr Arbeitstag um 8 Uhr und endet selten vor Mitternacht. Dazwischen spult sie 150 bis 170 Laufkilometer pro Woche ab, aus Zeit- und Effizienzgründen meist auf dem Laufband im eigenen Gartenhaus. Eine Gratwanderung. Sie nennt die Doppelbelastung eine «tickende Zeitbombe». Der Kopf will, allein der Körper muss noch vor den Olympischen Spielen in Sydney kapitulieren.
Ihre letzten 42,195 Kilometer beendet Rochat-Moser als Zweite des Jungfrau-Marathons 2000, ihr allerletztes Rennen beim Greifenseelauf 2001 in Begleitung von Richard Umberg, Daria Nauer und der damaligen Marathon-Weltrekordhalterin Tegla Loroupe. Die erfolgreiche Geschäftsfrau freut sich auf mehr Zeit für sich, ihren Mann und ihre Hündin Chica. Sie übernimmt das OK-Präsidium des Schweizer Frauenlaufs und gründet eine Stiftung zugunsten junger nationaler Lauftalente mit einem Nachwuchs-Länderkampf in Uster.
Der letzte Gipfel
Doch im März 2002 wird die noch nicht 36-jährige Vorzeigesportlerin abrupt und viel zu früh aus dem Leben gerissen. Unterwegs auf einer hochalpinen Skitour oberhalb von Les Diablerets stürzt Franziska Rochat-Moser in die Tiefe. Sie, die die Berge über alles liebte und von der Besteigung eines 8000ers im Himalaya träumte. Sie, die den Marathonlauf geradezu verkörperte und in New York den Mount Everest ihrer Sportart erreicht hat.
Link zum Buch «Frauenpower – die 30 prägendsten Schweizer Sportlerinnen der letzten 50 Jahre»
(u. a. Meta Antenen, Mujinga Kambundji, Lea Sprunger, Anita Weyermann, Franziska Rochat-Moser)
Link zu Anita Weyermann – Wirbelwind auf der Bahn und am Mikrofon
(sto)