Ob indoor oder outdoor, auf der Bahn oder auf der Strasse: Markus Ryffel, Jahrgang 1955, hat auf den Langstrecken neue Massstäbe gesetzt. Von 1977 bis 1984 gewann der STB-Athlet sechs internationale Medaillen, darunter die erste Olympiamedaille eines Schweizer Läufers seit 60 Jahren: Silber in Los Angeles 1984 über 5000 m – in der bis heute gültigen Rekordzeit von 13:07,54 Minuten. 24 weitere Rekorde sowie 19 nationale Titel zwischen 1976 und 1991 runden das Palmarès des «Lebensläufers» ab.
«Who are you?» Wer bist du? Zwei Mal fragt Henry Rono (KEN) den kleinen, aber zähen Schweizer, der sich im ohrenbetäubenden Letzigrund einfach nicht abschütteln lässt. Der Kenianer hat zwischen dem 8. April und 27. Juni 1978 vier Weltrekorde über 3000 m, 5000 m, 10 000 m und 3000 m Steeple aufgestellt und ist der Mann der Stunde. Nun nimmt er erstmals Notiz von Markus Ryffel, dessen Namen die Zuschauer mit jeder der zwölfeinhalb Bahnrunden lauter skandieren.
Anders als die afrikanischen Wunderläufer musste der gebürtige Ustermer als Kind nicht kilometerweise zur Schule laufen. Die fehlende Ausdauer machte der Metzgerssohn aber mit dem Velo wett, indem er für seine Eltern den Hauslieferdienst von Cordon bleu und Bündnerfleisch übernahm. 1968 trat Ryffel als 13-Jähriger in den LC Uster und beendete sein erstes Bahnrennen auf dem Letzigrund als Zweitletzter über 1000 m. Trotz seines «Porsche-Herzen»: An der Schnelligkeit mangelte es dem schmächtigen Schüler noch, ja er musste sich in der Schule regelmässig von den besten gleichaltrigen Mädchen schlagen lassen…
Entdeckt von Heinz Schild
Heinz Schild, Mittel- und Langstreckentrainer beim Schweizerischen Leichtathletik-Verband und später Gründervater des Grand-Prix Bern sowie des Jungfrau-Marathons, erkannte Ryffels Potenzial und überredete dessen Eltern, den Sohn nach Bern ziehen zu lassen. Statt der geplanten Kochlehre begann der 17-Jährige 1972 in der Bundesstadt eine Lehre als Schriftsetzer und schloss sich dem Stadtturnverein Bern an.
Unter Schilds Fittichen entwickelte sich Ryffel mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit zum Rekordläufer. Bei seinem ersten von 16 Starts im Rahmen von Weltklasse Zürich 1973 lief der Teenager über 5000 m auf Anhieb europäische Juniorenbestzeit (14:03,1). Zum Rennen zugelassen worden war der 18-Jährige dank dem Entgegenkommen von Meeting-Direktor Andreas Brügger, allerdings mit einer Auflage als Damoklesschwert: Eine Überrundung bedeute den sofortigen Ausstieg aus dem Rennen. Immerhin wurde das Feld von Weltrekordhalter Emiel Puttemanns (BEL) und Doppel-Olympiasieger Lasse Virén (FIN) angeführt…
Fünf Jahre später, 1978, spurtet Ryffel in der Schweizer Rekordzeit von 13:19,97 Minuten auf Rang 2 hinter dem grossen Henry Rono und darf diesen auf dessen Ehrenrunde begleiten. Wiederum einen Monat später fügt er Rono gar die erste Niederlage nach 28 siegreichen Bahnrennen zu. «Who are you?» Markus Ryffel hat sich mit 23 Jahren schon einen Namen gemacht. Dabei war Weltklasse Zürich 1978 bloss «Durchgangsstation» – zwischen der Hallen-EM in Mailand und der Freiluft-EM in Prag.
Der internationale Durchbruch
Im Vorjahr Bronzemedaillengewinner zusammen mit Rolf Gysin (800 m), geht Markus Ryffel im März 1978 mit Titelambitionen ins 3000-m-Rennen. In 7:49,5 Minuten bricht der Medaillenkandidat im Mailänder Palazzo dello Sport nicht nur seinen eigenen, vor drei Wochen an gleicher Stätte aufgestellten Landesrekord, sondern erobert auch das erste Schweizer Hallen-EM-Gold nach Meta Antenen 1974. Dazu bezwingt er seinen einstigen «Angstgegner», den früheren belgischen Weltrekordmann Puttemann, der Zweiter wird.
2. September 1978: Nur einen Tag nach Peter Muster (200 m) steht mit Markus Ryffel (5000 m) in Prag ein weiterer «Swiss Athletics History Maker» auf dem EM-Podest. Der Hallen-Europameister über 3000 m muss sich in einem packenden Schlusssprint bloss dem Italiener Venanzio Ortis geschlagen geben, der sich bereits Silber über 10 000 m geschnappt hat (bei Weltklasse Zürich indes noch hinter Ryffel ins Ziel gekommen war).
Die Auszeichnung zum Schweizer Sportler des Jahres ist das i-Pünktchen auf ein fantastisches Laufjahr 1978 – doch noch lange nicht der Schlusspunkt. 1979 in Wien gelingt Ryffel die Indoor-Titelverteidigung über 3000 m in der noch immer ungebrochenen Rekordzeit von 7:44,43 Minuten. Outdoor läuft der 24-Jährige im gleichen Jahr gar 7:41,00 (3000 m) respektive 13:13,32 (5000 m) und wird Dritter beim Weltcup über 5000 m.
Drei Olympiateilnahmen
Hat Markus Ryffel 1976 an den Olympischen Spielen in Montreal noch Autogramme von Doppelolympiasieger Alberto Juantorena (400 m/800 m) und John Walker (1500 m) gesammelt, so glänzt er 1980 in Moskau mit dem fünften Platz. Den Laufolymp erreicht Ryffel 1984 im Coliseum von Los Angeles, wo er hinter «Überläufer» Saïd Aouita (MAR), aber noch vor António Leitão (POR) sensationell zur Silbermedaille spurtet. Die 13:07,54 Minuten bedeuteten damals die fünftbeste 5000-m-Leistung aller Zeiten. Bis heute hat kein Schweizer die zwölfeinhalb Bahnrunden schneller zurückgelegt als der Hallen-EM- und Olympiasilbermedaillengewinner von 1984.
Nicht ganz so spektakulär verlief Ryffels Karriere über 10 000 m und die Marathondistanz. Bei seinem Debüt 1977 in New York finishte der 22-Jährige nach 2:19:40 Stunden und einigen Marschpausen. Später führte eine vererbte Venenerkrankung zu einem chronischen Logensyndrom in der Wadenmuskulatur, was ihn die klassische Distanz von 42,195 km nie schneller als 2:16:40 (1983 in London) bewältigen liess.
Olympiasilber vergoldet
Dafür stellte Markus Ryffel in Berlin 1987 eine Weltbestzeit über 25 km auf (1:15:04), gewann neunmal den Murtenlauf (wie Rekordsieger Werner «Düsenwerni» Dössegger), viermal den Grand-Prix Bern, dreimal den Greifenseelauf und zweimal die Escalade de Genève. Er war der erste Schweizer Läufer – und Leichtathlet –, der vom Sport leben konnte und sich daneben eine Existenz aufzubauen vermochte. Noch mehr: Bereits vor seinem Olympiacoup 1984 gründete er zusammen mit seinem älteren Bruder Urs einen Laufshop in Bern, gefolgt von einem weiteren an seiner Geburtsstätte in Uster. Mit der Firma Ryffel Running – inzwischen Markus Ryffel’s GmbH – sollte der Geschäftsmann den Schweizer Lauf- und Breitensport prägen wie kein anderer, sei es als Trendsetter im Aqua-Fit und Nordic Walking oder als Anbieter von Laufkursen, Seminaren und Aktivferien.
Seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat der Wahl-Berner auch als Veranstalter von Marathonreisen und Organisator diverser Laufevents, darunter der Nachwuchslauf in Uster, der Frauenlauf in Bern, der Greifenseelauf, der Survival oder der Santa Run. Noch heute schnürt der 66-jährige Dauerläufer mehrmals pro Woche die Laufschuhe und hat mittlerweile über 200 000 Kilometer auf dem «Tacho».
Diese Robustheit verdankt er nicht zuletzt seinem Mentor Heinz Schild (79). Anders als die meisten Trainer liess ihn der langjährige Radiomann und legendäre Stadion-Speaker im alten Letzigrund nicht nur Kilometer abspulen. Nein, Koordinations-, Kräftigungs- und Beweglichkeitsübungen genossen einen derart hohen Stellenwert, dass Ryffel 1974 beim Kaderzusammenzug in Magglingen noch von seinen Laufkollegen gefragt wurde, ob er sich auf das Eidgenössische Turnfest vorbereite. Der Pionier, der später als erster Schweizer mit der «Wet Vest» trainieren sollte, war seiner Zeit schon damals voraus.
Link zum Podcast mit Markus Ryffel von Swiss Track Check (Schweizerdeutsch)
(sto)